"Neues Deutschland"

2. Oktober 2003, Seite 5

Geschichte

Internetarchiv zu Euthanasieverbrechen

Streit über Opferzahlen und Umgang mit Akten


Von Peter Nowak©

Fast 60 Jahre nach dem Ende des Hitlerregimes sind längst noch nicht alle Verbrechen der Nazis aufgeklärt. So sorgen die euphemistisch Euthanasie genannten Morde an so genannten Kranken und Behinderten noch immer für heftige Kontroverse. Das wurde während einer Presse-konferenz in Berlin wieder einmal deutlich, auf der Bundesärztekammer und Bundesarchiv die Ergebnisse eines Forschungsprojekts zu den historischen Quellen und Hintergründen der Euthanasieverbrechen vorstellten.

Die Forschung auf diesem Gebiet begann in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts. Doch noch immer sind viele Bereiche ungeklärt. Jetzt ist der Zugang zumindest einfacher. Die bisher in vielen Ländern verstreuten Dokumente sind zu einem Inventar zusammengefasst und ins Internet gestellt worden. Erfasst wurden Quellen in Deutschland, Österreich, Polen und Tschechien.

Heftige Kritik an dem Projekt übte der Landesverband der Psychiatrieerfahrenen Berlin Brandenburg e. V. In einer auf der Pressekonferenz verteilten Erklärung warfen sie den Organisatoren u.a. vor, die Zahl der Euthanasiemorde nach unten korrigiert zu haben.

Während dort von 200.000 Opfern gesprochen wird, zitiert die Betroffenenvertretung die Zahlen aus der neueren Forschungen. Danach kamen bis 1945 über 275.000 Menschen im Rahmen des Euthanasieprogramms ums Leben. Nach dem Ende der Nazizeit bis 1949 seien weitere 25.000 Menschen in psychiatrischen Kliniken verhungert. René Talbot, Sprecher der Psychiatrieerfahrenen, kritisierte, dass sich Angehörige von Euthanasieopfern vor Einsicht in die Akten per Unterschrift verpflichten müssen, die Informationen nicht zu veröffentlichen.

HOME
Impressum