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Riesenansturm ließ Postel strahlen

Der falsche Psychiater von Zschadraß las im Hauptbahnhof und fand nicht nur Bewunderung

"Ich möchte wissen, mit welcher Cleverness der Mann sein Ziel erreicht hat." Bewunderung schwingt in der Stimme von Andrea Schubert. "Er muss doch ein besonderes Geschick haben", meint auch Dieter Klaus. Die Verkäuferin und der Diplom-Ingenieur zählen zu den 500, die am Donnerstag zu vorgerückter Stunde sitzend oder stehend zwischen den Regalen der Buchhandlung Ludwig im Hauptbahnhof klemmen, um die Lesung von Hochstapler Gert Postel zu erleben.

Während die nicht mehr Eingelassenen vom Querbahnsteig aus verbittert an die Scheiben klopfen, genießt Postel den Ansturm, dreht und spreizt sich auf seinem Podium, lässt das Mikro durch Bücher-Hochstapelei ein wenig dichter an sich heranrücken. Dann liest der gelernte Postbote aus seinen soeben erschienenen, 191 Seiten starken "Doktorspielen", schildert sein Wirken als Psychiatrie-Oberarzt im sächsischen Krankenhaus Zschadraß und den Prozess in Leipzig, der ihn bis zum Januar dieses Jahres hinter Gitter gebracht hat. Nach jeder Pointe schwenkt der schelmische Blick ins Publikum, prüft, ob die erhoffte Heiterkeit denn auch eingetreten ist. Die Sorge ist unbegründet - die Bewunderer im Raum überwiegen und haben viel zu lachen.

"Ich wollte, dass sich das Buch abhebt von der üblichen Verbrecherliteratur eines Dagobert oder Dr. Schneider und habe mich um ironische Distanz bemüht", rühmt sich der Autor in der anschließenden Fragestunde, in der er freundlichen Bitten um Auskunft gern nachkommt. "Für die Psychiatrie", so beschreibt er seine Erfolgsmethode, "brauchen Sie keine Basis, Sie müssen nur die Sprache beherrschen, und dann können Sie das Gegenteil oder das Gegenteil vom Gegenteil beweisen."

Die 1995 begonnene, anderthalbjährige Arztkarriere in Sachsen sei für ihn keineswegs die einzige Möglichkeit des Aufstiegs gewesen. "Ich habe auch ernsthaft darüber nachgedacht, als Präsident eines Gerichts in den Osten zu gehen, das hätte genauso funktioniert", zeigt er sich überzeugt. Doch nun, so behauptet der 43-Jährige, wolle er spazierengehen, Pfeife rauchen, Schopenhauer lesen und straffrei leben. Schluss soll sein mit der Hochstapelei. "Man kann sich nicht zum eigenen Plattenspieler machen." Strahlend lässt sich Postel eine Rose reichen und von Besuchern als Enthüller psychiatrischer Missstände feiern.

Inmitten staunender Verehrung wird hier und da eine kritische Stimme laut. Ob er gegenüber Patienten Schuldgefühle habe? "Der Begriff macht mich ratlos", bekennt Postel. Schließlich schildert ein Rentner aus dem Publikum, wie er bei einem Patientenbesuch in Zschadraß den falschen Oberarzt erlebte. "Er hat eine junge Assistenzärztin vor meinen Augen angebrüllt, und als ich ein Anliegen bei ihm vortrug, schrie er mich genauso an. Das war ein sehr selbstherrliches Auftreten." Ein Vorwurf, der Postel völlig aus der Fassung bringt, in rüdem Ton kanzelt er den Kritiker ab.

Klaus-Jürgen Heiber, Chef der Bahnhofsbuchhandlung, macht sich trotz der gespannten Atmosphäre im überfüllten Saal keine Sorgen um die Sicherheit. "Schließlich ist mindestens jeder fünfte Besucher Arzt", schmunzelt er. "Ich habe fast alle psychiatrischen Krankenhäuser Sachsens angeschrieben, um eine ausgewogene Diskussion zu sichern." Doch die wenigsten "Kollegen" Postels geben sich in der Gesprächsrunde zu erkennen oder setzen dem Buchautor gar zu. "Ich bewundere Sie mehr, als dass ich Sie verurteile", räumt Wolfgang Ende vom Krankenhaus Hochweitzschen ein. Der Fall des Hochstaplers habe viele Psychiater nachdenklich gemacht. "Ich weiß auch, dass Sie Patienten keinen Schaden zugefügt haben", erklärt der echte Oberarzt und der falsche kontert bissig: "Ich bin ja auch kein Psychiater."

Am Ende klaffen die Meinungen über den Autor und die Veranstaltung weit auseinander. "Furchtbar", grollt Torsten Hofmann. "Spektakulär", schwärmt Tobias Heinemann, während rund 250 Exemplare des 36-Mark-Buches über den Ladentisch gehen.

Armin Görtz

© Leipziger Volkszeitung Online vom 07.09.2001


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