15.4.04: Versuch des mundtot Machens gescheitert:

die Taz - die Frankfurter Rundschau - Junge Welt - Telepolis- Scheinschlag berichten

Beschwerde gegen Zwangsverlegung

Mundtot

Nachdem die Pressekonferenz verboten wurde, protestieren anschließend Gefangene im Garten des psychiatrischen Gefängnis Buch mit verklebten Mund gegen den Versuch sie mundtot zu machen - Photo über die Mauer, Copyright frei

Offener Brief mit Unterschriften:

Beschwerde gegen die Zwangsverlegung der III. Abteilung des Berliner Krankenhaus des Maßregelvollzuges Berlin-Buch, in die
Karl- Bonhoeffer-Nervenklinik Berlin-Reinickendorf

Sehr geehrte Damen und Herrn,

wir sind die Patienten im Krankenhaus des Maßregelvollzuges (KMV), III. Abteilung für forensische Psychiatrie, örtlicher Bereich Berlin-Buch, Lindenberger Weg 69, 13125 Berlin.

Im Herbst 2003 wurde uns in einem Plenum eröffnet, daß wir in den KMV der Karl-Bonhoeffer- Nervenklinik (KBoN) verlegt werden sollen. Uns wurde mitgeteilt, daß diese Verlegung im Oktober 2004 stattfinden soll. Die räumliche Situation im neuen Haus würde für uns eine Umsetzung von derzeit größtenteils Einzelzimmern auf generelle Doppelzimmer bedeuten. Laut Aussagen der Therapeuten, welche die örtlichen Bedingungen zum Teil schon kennen, sind diese Zimmer mehr Hoch als Breit. Desweiteren sollen die Patienten, welche durch den §64 StGB in der KBoN untergebracht sind, nach Buch umziehen. Der Grund dieser Umzüge soll eine angebliche Kosteneinsparungen im Berliner KMV zur Folge haben, so die offizielle Mitteilung des Geschäftsführers vom KMV-Berlin.

Aus diesen Mitteilungen stellt sich für uns die Frage, ob sich die Geschäftsleitung der Tragweite und Konsequenzen ihrer Entscheidung für den therapeutischen Prozeß, sowie über deren negativen Auswirkungen überhaupt bewußt ist. Für uns entstand bei der Mitteilung des Umzuges der Eindruck, daß dies der Geschäftsleitung egal ist. Dies würde auch gleichzeitig bedeuten, daß unsere therapeutischen Bestrebungen und menschlichen Bedürfnisse der Geschäftsführung total egal sind.

Wir Patienten sind gegen diesen, in unseren Augen völlig sinnlosen, logistisch extrem aufwendigen und dadurch für den Berliner Finanzhaushalt auch sehr teuren Umzug. Wir wehren uns gegen eine Doppelzimmerbelegung in beengenden Verhältnissen, welches ein Verlust der Individualität, unserer Intimssphären sowie der derzeit möglichen Rückzugsmöglichkeiten nach anstrengenden Therapiegesprächen hätte. Weiterhin wollen wir uns gegen einen drohenden Verlust der Arbeitsplätze und Freizeitmöglichkeiten zur Wehr setzen, da dieses einen tiefen Einschnitt in die schon derzeit eng begrenzten finanziellen Möglichkeiten und in die soziale Rehabilitation darstellt. Dies hätte zur Folge, daß sich für uns die Gefahr der Hospitalisierung extrem vergrößert. Die Arbeitsplätze und Freizeitmöglichkeiten stellen für uns einen wichtigen, sinnvollen Bestandteil der Therapie dar und sind ein hilfreicher Baustein für die Resozialisierung. Der Umzug und die drohenden beengenden Verhältnisse stellen einen unüberschaubaren Streßfaktor dar, welcher für eine Gesundung nicht sehr förderlich ist. Weiterhin zeigen die Erfahrungen aus anderen Vollzugseinrichtungen, daß derartige Verhältnisse das Aggressionspotenzial unter Strafgefangenen erheblich steigern kann. Darauf haben wir einfach keinen Bock, denn Aggressionen werden hier lediglich durch Strafmaßnahmen wie z. B. Isolationshaft oder Medikamente unterdrückt.

Die therapeutische Auseinandersetzung findet lediglich Tage später statt und dieses leider auch nur für eine halbe Stunde pro Woche (früher wöchentlich 50 Minuten), falls das Gespräch nicht durch einen therapeutischen Schreibtag oder klinischen Aktentag ausfällt. Die Objektgestaltung hier in Buch ist so ausgelegt, daß Menschen, welche sich für lange Zeit in Haft befinden und nicht wissen ob oder wann sie wieder in Freiheit kommen, einen relativ vernünftigen Lebensraum haben, ohne "verrückt" gemacht zu werden (Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer für Patienten mit §63 im Berliner KMV betrug 2003 7,5 Jahre, ohne Berücksichtigung der neu hinzugekommenen Therapiekürzungen und Lockerungsverschärfungen. Patienten, welche nach §64 untergebracht sind, befinden sich generell 2 Jahre im KMV.) Dieses ist in der KBoN für uns nicht gewährleistet.

Wir möchten diese Gelegenheit benutzen, um rechtlichen Grundlagen zu erläutern.
Leitsätze zum Beschluß des OLG Celle vom 05.11.98.

1.) Die Einzelunterbringung während der Ruhezeit dient in erster Linie dem Schutz der Persönlichkeit - und Intimsphäre des Strafgefangenen. § 18 StVollzG verleiht ihm daher grundsätzlich einen entsprechenden Anspruch.

2.) Eine Allgemeine chronische Überbelegung der Anstalt ist weder "vorübergehend", noch stellt sie einen "zwingenden Grund" i. S. des §18 II 2 StVollzG für eine Gemeinschaftliche Unterbringung dar.

3.) Auch die §§ 145, 146 StVollzG schränken das des Gefangenen durch §18 StVollzG gewährtes Recht auf Einzel Unterbringung nicht ein, sondern setzen dessen Beachtung voraus.

Desweiteren hat die 3. Kammer des zweiten Senats des Bundesverfassungsgericht in zwei Beschlüssen die Beachtung des Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz für Strafgefangene durch die Fachgerichte angemahnt. Dem Recht auf Achtung der Menschenwürde kommt in der Verfassung ein Höchstwert zu. Schon dies läßt in aller Regel nach Erledigung eines Eingriffs ein Interesse des Betroffenen an - auch nachträglicher - Feststellung der Rechtswidrigkeit als schutzwürdig erscheinen. Dabei kann es nicht darauf ankommen, ob eine derartige Verletzung nur Vorübergehend geschehen ist, denn Achtung und Schutz der Menschenwürde ist aller Staatlichen Gewalt auferlegt.
Berliner Zeitung vom 04.04.2002:
Das Bundesverfassungsgericht hat erneut die Benachteiligung der Grundrechte von Strafgefangenen angemahnt. Gefangene, die während ihrer Haft Menschenunwürdig untergebracht sind, können dagegen auch nachträglich Gerichtlich vorgehen, heißt es in einem am Mittwoch veröffentlichten Beschluß. (Ak: 2 DvR 553/01 und 2 DvR 261/01).

Auf Grund unser persönlichen Erfahrung, der bisherige Therapieverlauf und den derzeitigen Stand der Therapie, stellt das Einzelzimmer einen wichtigen Baustein unserer Entwicklung und der zukünftig verlaufenden Therapie dar. Es ist sehr wichtig für uns, nach Therapiegesprächen eine Rückzugsmöglichkeit zu haben, ohne Mitpatienten, um in Ruhe nachzudenken, Gedanken zu ordnen oder abschalten zu können um neue Kraft zu sammeln, was in einem doppel Belegten Zimmer unter diesen Umständen nicht möglich wäre.

Wir möchten den Eingliederungsgrundsatz erwähnen, aus dem auch unmittelbar der Gegenwirkungsgrundsatz folgt: das die Klinik den schädlichen Folgen des Freiheitsentzuges entgegen wirken muß. Daraus folgt der Angleichungsgrundsatz, das unser Leben in dieser Klinik den allgemeinen Lebensverhältnissen so weit wie möglich anzugleichen ist. Unter all diesen Gesichtspunkten möchten wir Bezug auf die Grundrechte der Verfassung nehmen die beinhaltet, das jeder Mensch ein Recht auf Diskretion und Wahrung seiner Intimsphäre hat. Das folgt sowohl aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 GG) als auch aus dem Gebot, die Menschenwürde zu waren (Art. 1GG).

Desweiteren § 28 Berliner PsychKG, Abs. l, der besagt, das die Unterbringung unter Berücksichtigung Therapeutischer Gesichtspunkte den allgemeinen Lebensverhältnissen soweit wie möglich angeglichen werden soll. Sowie die Bereitschaft des Untergebrachten, an der Erreichung des Unterbringungszieles mitzuwirken, diese Eigenschaft geweckt und sein Verantwortungsbewußtsein für ein geordnetes Zusammenleben gefördert werden soll.

Wir möchten uns mit diesen Brief gegen einen Umzug aussprechen und für Verbesserungen innerhalb des KMVs einsetzen. Weshalb wir sie hiermit zu einer Pressekonferenz am 15.4.2004 um 11.Uhr bei uns in der KMV einladen möchten. Wir danken ihnen im Voraus für ihr zahlreiches Erscheinen und hoffen dass sie uns in unserem Bemühen unterstützen werden!

Anbei eine Unterschriftenliste aller Patienten hier im KMV, die gegen eine Verlegung sind.


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