Redebeitrag des Landesverband Psychiatrie-Erfahrener Berlin-Brandenburg, zur Eröffnung der Sonderausstellung "Eine Stadt für sich" am 28.11.´99 im Frey-Haus Museum der Stadt Brandenburg


Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrter Herr Kohnke,
sehr verehrte Damen und Herren.


Im August diesen Jahres fand der Gegenkongreß des Bundesverbands Psychiatrie-Erfahrener zum Weltkongress der Psychiatrie in Hamburg statt. Einer der Beiträge auf unserem Kongreß war der Bericht des Augenzeugen Otto Klein. Er ist einer der Zwillinge, die die Menschenversuche von Dr. Mengele in Ausschwitz Dank der Befreiung durch Sowjettruppen vor ihrer geplanten Ermordung überlebten. Er berichtete, wie er mit der instrumentellen Vernunft eines wissenschaftlichen Interesses mit Tuberkulose und anderen Erregern infiziert worden war. Sein Bruder wurde nicht infiziert, in der Absicht nach der Ermordung Beider ihr Inneres einem obszönen Vergleich zu unterwerfen.

Nach der Befreiung war er sehr krank, sein Bruder relativ gesund. Sein Bruder durfte nach Amerika immigrieren, Otto Klein nicht. Für die medizinischen Opfer der ärztlichen Verfolgung gab es kein Asyl. Angeblich "psychisch Kranke", hätten sie der drohenden Gaskammer entkommen können, wären von den USA wieder zurückgeschickt worden, wenn sie ihre medizinische Verleumdung benannt hätten. Zurück zu den psychiatrischen Internierungslagern, den Gaskammern, der Ermordung durch Tothungern lassen und den mörderischen Spritzen.

Bis heute kann ich in die USA nur mit der Lüge einreisen, daß mir bisher keine verleumderische "Geisteskrankheit" z.B. eine sog. "Schizophrenie" attestiert wurde.

Nun ein Blick auf den anderen Befreier. Um solche handelt es sich, denn nach einigen Jahren gingen unter den neuen Regierungen in Deutschland die Mordraten in den psychiatrischen Internierungslagern tatsächlich zurück; ein Blick auf das Sowjetsystem.

Es wollte auf derselben instrumentellen Vernunft von Planbarkeit und Wissenschaft basieren.
Wissenschaft, deren Bedürfnis nach Objektivierung gerade hier in Brandenburg Görden seine tiefste Abgründigkeit offenbart hat. DennGörden war der Lieferant der Gehirne für die Jäger und Sammler in Berlin Buch, das Kaiser Wilhelm Institut für Hirnforschung von Prof. Spatz und Prof. Hallervorden.

Dieses Sowjetsystem hatte im gesamtdeutschen Vergleich die höchsten Mordraten bei den Überlebenden in den psychiatrischen Internierungslagern, wie Heinz Faulstich belegt. Ich stelle die Sterbeziffern der nichtinternierten Bevölkerung den durchschnittlichen Sterbeziffern in den Anstalten in der Sowjetzone gegenüber. Im Jahre ´45 lag die Sterberate bei 35% in den Anstalten, dagegen waren es ca.2,5 % bei den Nichtinternierten. In den Jahren ´46 und ´47 waren es 24% gegenüber 2,1 bzw. 1,9%, 1948 waren es 12% gegenüber 1,5% und im Jahre 1949 immer noch 9% gegenüber 1,3%. Das läßt eine Ahnung von dem Hungermorden in den Anstalten auch ohne Naziherrschaft aufkommen. Wohlgemerkt es handelt sich um Psychiatrien, in denen körperlich an sich gesunde Menschen eingesperrt wurden.

Geradezu selbstverständlich ist da schon die Kontinuität des medizinischen Führungspersonal in der Sowjetischen Besatzungszone.
Dafür ein besonders markantes Beispiel:
Karl Bonhoeffer wird in der Charité bis heute verehrt. Obwohl er ein Erbgesundheitsoberrichter war und reihenweise Gutachten geschrieben hat, die zu Zwangssterilisationen geführt haben. Diese Zwangssterilisationen wurden 53 Jahre nach dem Krieg auch vom Parlament als Nazi-Unrecht anerkannt. Sie waren der erste rassenhygienisch begründete gewaltsame Eingriff in die Körper der medizinisch Verleumdeten. Dieser Karl Bonhoeffer wurde im Oktober 1946 in den wissenschaftlichen Senat bei der Zentralverwaltung für das Gesundheitswesen der sowjetischen Besatzungszone befördert. Er war damit an mitverantwortlicher Stelle für das massenweise Hungermorden in den Psychiatrischen Internierungslagern.

Wie ging es nach 1949 weiter mit einer Wissenschaft, für die meiner Ansicht nach das Wort Spezialisten für Foltermethoden zutrifft: Welche Neuen, wieder vorgeblich "Humanen" Methoden folgen dem Morden als sog. "Gnadentod"?
Lobothomie, also die psychiatrische Hirnchirugie. Der Elektroschock der bis heute angewendet wird. Der Insulinschock und als letzte Neuerung, die Verabreichung von bewußtseinsverändernden, gefährlichen Drogen. In der Psychiatrie immer unter der immanenten Drohung von Zwang, oder mit direktem Zwang - Einsperrung und Fesselung, totaler Kontrolle in einer noch totaleren Institution als dem Gefängnis. Der Zwang ist das Verbindende, was bei all diesen verschiedenen Methoden gleichgeblieben ist, um die sog. Krankheitseinsicht zu erzielen.
Wie viele Zwangseinweisungen wurden letzes Jahr vorgenommen?
Eine Zahl, die man kaum erfahren wird, weil es ein systematisches Totschweigen zu diesen legalisierten Menschenrechtsverletzungen gibt.

Diese beginnen mit einem verleumderischen Jargon: ich zitierte Prof. Thomas Szasz:
Schizophrenie ist ein strategisches Etikett, wie es "Jude" im Nazi-Deutschland war. Wenn man Menschen aus der sozialen Ordnung ausgrenzen will, muß man dies vor anderen, aber insbesondere vor einem selbst rechtfertigen. Also entwirft man eine rechtfertigende Redewendung. Dies ist der Punkt, um den es bei all den häßlichen psychiatrischen Vokabeln geht: sie sind rechtfertigende Redewendungen, eine etikettierende Verpackung für "Müll"; sie bedeuten "nimm ihn weg", " schaff ihn mir aus den Augen", etc. Dies bedeutete das Wort "Jude" in Nazi-Deutschland, gemeint war keine Person mit einer bestimmten religiösen Überzeugung. Es bedeutete "Ungeziefer", "vergas es".
Ich fürchte, daß "schizophren" und "sozial kranke Persönlichkeit" und viele andere psychiatrisch diagnostische Fachbegriffe genau den gleichen Sachverhalt bezeichnen; sie bedeuten "menschlicher Abfall", "nimm ihn weg", "schaff ihn mir aus den Augen".
Die medizinischen Menschenrechtsverletzungen finden ihren Höhepunkt im Massemord - Ernst Klee hat es auf den Punkt gebracht: "Nicht die Nazis haben die Ärzte gebraucht, sondern die Ärzte die Nazis."

Zum Ende möchte ich nochmals auf Otto Klein zurückkommen. Gefragt, was für ihn heute das Schlimmste ist, sagte er: "Es ist der Versuch, das Geschehene zu verleugnen."

In dem Bemühen, die Kontinuität der Geschichte der Ausgrenzung und ihrer radikalsten Form, dem systematischen ärztlichen Massenmord, aufzuzeigen, macht diese Ausstellung einen ersten Schritt.
Besondere Aufmerksamkeit sollte der Tafel gewidmet werden, in der die Forderung dokumentiert ist, die Hand des Schließers solle zum Schlüssel mutieren.
Die weitere Aufarbeitung wird sich gegen die Methoden, wie sie auch heute noch praktiziert werden, wenden müssen. Dann werden wir eines Tages den ganzen Schrecken erfahren, den das System des Internierungslager Psychiatrie für die Betroffenen, wie die ganze Gesellschaft bedeutet hat.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit

Author: René Talbot

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