Wichtiges Urteil

Landgericht Offenburg
Die zwangsweise Verbringung eines Betreuten in ein offenes Altenpflegeheim ist unzulässig.
(4. ZK, Beschluss v. 08.07.1996 - 4 T 88/96)

Aus den Gründen:
Die Beschwerde ist begründet. Die Kammer ist der Auffassung, dass für die vom AmtsG getroffene Entscheidung eine Rechtsgrundlage fehlt,so dass es nicht darauf ankommt, ob die in entsprechender Anwendung von § 70g V FGG genehmigteZwangsmaßnahme ausreichend konkret bezeichnet ist.

a) Die zwangsweise Verbringung des Betreuten in ein Altenpflegeheim greift tief in dessen Rechte ein. Die Durchführung dieser Maßnahme setzt notwendig ein Eindringen in die Wohnung des Betroffenen [Betr.] und dieAnwendung von körperlichem Zwang voraus. Damit ist der Schutzbereich der Grundrechte aus Art. 2 und 13GG berührt.Durchsuchungen - worum es sich vorliegend handelt (zum Begriff s. BVerfGE 75, 318, 327) - sind grundsätzlich nur zulässig, wenn zuvor eine neutrale, mit richterlicher Unabhängigkeit ausgestattete Instanz geprüft hat, ob die gesetzlichen Voraussetzungen dafür vorliegen (BVerfG, NJW 1979, 1539). Notwendig ist also eine gesetzliche Regelung, die eine Durchsuchung gestattet. Gleiches gilt hinsichtlich des i. ü. anzuwendenden unmittelbarenZwangs, da in das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit nur aufgrund eines Gesetzes eingegriffen werden darf, Art. 2 II GG vgl. für den vorliegenden Zusammenhang LG Frankfurt, FamRZ 1994, 1617; OLG Frankfurt,BtPrax 1996, 71; Bauer, FamRZ 1994, 1562 ff.). In einem vergleichbaren Zusammenhang formuliert das BayObLG (BtPrax 1995, 182, 183), dass Zwangsmittelnur zulässig sind, wenn dafür eine besondere gesetzliche Grundlage gegeben ist. Eine derartige gesetzliche Grundlage fehlt (s. LG und OLG Frankfurt, a.a.O., und Bauer, a.a.O.; im Ergebnis a.A. LG Bremen, BtPrax 1994, 102; LG Berlin, BtPrax 1996, 111 = FamRZ 1996, 821).

b) Für den hier nicht einschlägigen Fall der Zuführung zu einer Unterbringung nach § 70 I S. 2 Nr. 1 FGG hat der Gesetzgeber, obwohl in derartigen Fällen ohnehin eine gesonderte richterliche Prüfung nach § 1906 BGBvorgesehen ist, eine besondere Norm geschaffen, die die Anwendung von Gewalt aufgrund richterlicher Prüfung und Anordnung erlaubt. Dies spricht dafür, dass in dem hier vorliegenden Fall einer zwangsweisen Zuführung in ein nicht geschlossenes Heim keine gesetzliche Ermächtigung vorhanden ist.Die in § 1896 BGB vorgesehene allgemeine Aufgabenzuweisung, wonach anerkanntermaßen auch eine Betreuung mit dem Aufgabenkreis Aufenthaltsbestimmung zulässig ist, ersetzt die gesetzliche Ermächtigung zur Anwendung von Zwang und Verletzung der geschützten räumlichen Privatsphäre (Art. 13 GG) nicht. Das Aufenthaltsbestimmungsrecht kann in vielerlei Art ausgeübt werden. Es ist keinesfalls von vornherein klar, dassdie Anwendung von Zwang erforderlich ist. Die durch die Bestellung eines Betreuers mit dem Wirkungskreis Aufenthaltsbestimmung bewirkte Beeinträchtigung ist keinesfalls gleichzusetzen mit der viel weitergehenden Rechtsbeeinträchtigung, die im vorliegenden Fall vorgesehen ist. Ebenso wenig begründen die §§ 1908i I, 1837 BGB eine Eingriffsbefugnis (Palandt/Diederichsen, BGB, 55.Aufl., § 1837Rz. 6). Gleiches gilt hinsichtlich § 33 FGG, da diese Bestimmung eine gesetzliche Ermächtigung voraussetzt und nicht schafft (BayObLG, BtPrax 1995, 182, 183).

c) Die Kammer teilt nicht die Auffassung, dass dem Umstand, dass der Gesetzgeber eine Betreuung mit dem Wirkungskreis Aufenthaltsbestimmung schafft, entnommen werden muss, dass dann auch die"notwendigen" Zwangsmittel erlaubt sind. Der Regelung des Betreuungsrechts im materiellen und Verfahrensrecht ist vielmehr zu entnehmen, dass das Gesetz ein abgestuftes System der Zwangseingriffe vorgesehen hat. Es ist nicht alles, was aus der Sicht anderer Beobachter als ideal angesehen wird (Coeppicus, FamRZ 1992, 741, 747: "Der Aufenthalt im Heim wird für ideal gehalten - ,warm, satt, sauber'") mit hoheitlichem Zwang durchzusetzen.Die zwangsweise Verbringung in ein offenes Altenpflegeheim ist gegenüber der Unterbringung nach § 1906BGB bereits deshalb kein milderes Mittel, weil das AmtsG sowohl in dem angegriffenen Beschluss als auch indem Beschluss v. 30. 8. 1995 festgestellt hat, dass die Voraussetzungen des § 1906 BGB derzeit nicht gegeben sind. Aus Sicht des Betreuten ist der - möglicherweise nicht mehr lange - Verbleib in der vertrauten Umgebungsicherlich milder als die zwangsweise und ohne Einsicht des Betr. durchgesetzte Umsiedlung in ein Pflegeheim. Dass die Lebensumstände äußerst schwierig und aus Sicht gesunder Menschen menschenunwürdig sind, rechtfertigt nicht, die Wertung des Betr., der zu Hause auf dem angestammten Bauernhof bleiben will, zu ignorieren. Das Gericht ist nicht kraft eigener Machtvollkommenheit befugt, die Wünsche des Betr., der nur Gewalt weichen will, zu übergehen. Vielmehr ist dies eine rechtspolitische Entscheidung, die dem Gesetzgeber vorbehalten ist. Der Gesetzgeber hat aber, wie dargelegt, für den vorliegenden Fall gerade keine zwangsweisen Eingriffsbefugnisse geschaffen. Dies als Versehen zu qualifizieren, ist nicht gerechtfertigt und wird vom AmtsG auch nicht näher begründet.

d) Es ist auch keineswegs zwingend so, dass es im weiteren Verlauf ohnehin dazu kommen wird, dass der Betreute seine Wohnung wird aufgeben müssen. Der Verkauf des Anwesens, sofern er überhaupt unter dengegebenen Voraussetzungen gelingt, steht unter dem Vorbehalt vormundschaftsgerichtlicher Genehmigung. Das Gericht wird dann ggf. den Sachverhalt umfassend prüfen müssen.Gleiches gilt für die Folgen etwaiger zukünftiger Zwangsvollstreckungsmaßnahmen von Gläubigern des Schuldners. Diesen späteren, ohnehin ungewissen Entwicklungen, die auch dadurch geprägt sind, dass die Lebensumstände des Betreuten sich wegen fortschreitender Erkrankung und Alters ständig verändern, kann nicht im Wege einer derzeit ohne gesetzliche Grundlage vorgenommenen zwangsweisen Entfernung des Betreuten aus einer gewohnten Umgebung vorgegriffen werden . . .

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