Praktisch-konzeptionelle ArbeitsvorschlägeInhaltsverzeichnis:
Tätigkeitsbestimmungen der Gedenkstätte
Überwindung der Sprachlosigkeit?
Praktische Möglichkeiten der Umsetzung
Möglichkeiten der inhaltlich-konkreten Annäherung an die Thematik
Literaturverzeichnis
Vorwort
Die folgenden praktisch-konzeptuellen Arbeitsvorschläge beziehen sich inhaltlich auf die von mir erstellte 4teilige Arbeit, welche den sachlichen Rahmen des geplanten Museums "Haus des Eigensinns"/Gedenkstätte setzte. Grundlage hierbei, d. h. auch bei den folgenden Anregungen, sind bereits entwickelte Vorstellungen und Prämissen seitens der Initiatoren. Diese bestehen insbesondere in dem Wunsch, die in Heidelberg befindliche "Prinzhorn-Sammlung" in Berlin als Teil des Museums "Haus des Eigensinns" auszustellen. Sollte dies nicht realisierbar sein, wird von den Initiatoren gewünscht, die für diese Sammlung vorgesehene Ausstellungsfläche nicht anderweitig zu füllen, sondern mit "weißen Wänden" die NichtRealisierbarkeit dieses Vorhabens zu dokumentieren.
Sollte daß Bauvorhaben nach den Wünschen der Initiatoren verwirklicht werden, stünde eine Fläche von ca. 1000 qm zur Verfügung. Davon soll nach den Vorstellungen der Initiatoren etwa die Hälfte durch Stücke aus der "Prinzhorn-Sammlung" gefällt werden. Auf der zweiten Hälfte dieses Raums soll die Gedenkstätte an die Opfer der "Euthanasie" und Zwangssterilisierung in Deutschland zwischen 1933 und 1945 entstehen. Diese Pläne bilden den vorgefundenen Rahmen für die weitere Konkretisierung des inhaltlichen Konzeptes. Dabei habe ich, ausgehend von diesen Grundvoraussetzungen, praktische Vorschläge zur Ausgestaltung der Gedenkstätte ausgearbeitet, zusammengestellt und sachlich strukturiert. Anliegen ist dabei, den Initiatoren eine Arbeitsgrundlage zu bieten zur letztendlichen Ausgestaltung des Museums und der Gedenkstätte . Hierbei blieb für mich die zur Verfügungstehende qm-Zahl unberücksichtigt, d. h. die Vorschläge können im Fall einer Umsetzung unabhängig von dieser einfließen. Anliegen war, eine möglichst breite Arbeitsbasis zu schaffen, auf die zurückgegriffen werden kann.
Ich habe versucht, möglichst viele für das Thema relevante Aspekte zu berücksichtigen und Hinweise dafür zu geben, welche Überlegungen bei der Ausgestaltung einer Gedenkstätte und eines Museums beachtet werden können. Dabei handelt es sich um einzelne Elemente, die bei der Entscheidung für eine Form der Darstellung jeweils auch für sich genommen miteinfließen können, als solche aber nicht zwingend sind, da die konkrete Entscheidung im Stadium der Realisierung des Projektes getroffen wird. In diesem Sinn versteht sich die vorliegende Arbeit als zwischengeschalteter Baustein zwischen der inhaltlichen Konzeptionierung und der späteren praktischen Realisierung des Projektes, die keinesfalls Anspruch auf Vollständigkeit erhebt.
Petra Storch, Juli 1998
Tätigkeitsbestimmungen der Gedenkstätte
Aufgabe der Gedenkstätte ist, die historischen Tatsachen als Geschichte der deutschen Gesellschaft zu dokumentieren. Das Leiden der Opfer soll dabei sichtbar und Empathie ermöglicht werden. Vor diesem Hintergrund sind die folgenden Vorschläge erarbeitet worden. Es handelt sich dabei ausdrücklich um Vorschläge, da die Tragweite der Thematik mit all ihren Aspekten im Rahmen des Versuches einer einzelnen konzeptionellen Annäherung nicht vollständig oder gar abschließend erfaßt werden kann. Die vorliegenden Anregungen wollen in diesem Sinn einen Beitrag leisten zur weiteren Bearbeitung der Thematik und zur weiteren konkreten Arbeit an dem Projekt der Gedenkstätte und des Museums.
Allgemein gesprochen heißt dies zunächst, daß im Rahmen des Projektes Dokumente zusammengetragen, systematisiert, erforscht und ausgestellt werden. Um diesem Auftrag gerecht werden zu können, wäre die Bildung eines wissenschaftlichen Beirats die optimale Voraussetzung. Bei der Bearbeitung gehören die Geschichte der "Euthanasie" und die der Zwangssterilisierung inhaltlich zusammen. Die Standpunkte und Analysen von Überlebenden, Betroffenen sollen dabei grundsätzlich einfließen. Dabei kann sich die Arbeit des Projektes über das Darstellen hinaus als kommunikativer Ort verstehen. Durch die Art der Präsentation kann transportiert werden, daß die historischen Ereignisse nicht schicksalhaft hereingebrochen sind, sondern sich als Handlungen im konkreten Leben des Winzelnen realisieren.
Die Ausstellung der "Prinzhorn-Sammlung" soll nach den Vorschlägen der Initiatoren von der Gedenkstätte räumlich getrennt werden. Die Sammlungsstücke möchten dabei als Darstellung von Lebenszeugnissen realer und potentieller Opfer von "Euthanasie" und Zwangssterilisierung fungieren. Über die Präsentation der Sammlungsstücke hinaus wäre es sinnvoll, auch die Biographien der betreffenden Patienten zu dokumentieren, ebenso die Entstehungsgeschichte der Sammlung und sowohl deren zeit- und geistesgeschichtlicher Hintergrund als auch deren humanwissenschaftliche Bezüge.
Generell können Lebenszeugnisse der Opfer präsentiert werden. Dies bedeutet Darstellung ihrer Lebenswelten vor der Vernichtung. Darüber kann wahrnehmbar werden, welche Bevölkerungsgruppen der "Euthanasie" und Zwangssterilisierung zum Opfer fielen. Die Genealogie der "Euthanasie" sollte transparent werden. Hierzu eignen sich Dokumentationen zu einzelnen Etappen bezüglich der Herausbildung und Entwicklung der Eugenik, auch vor 1933. Dies gilt gleichermaßen für die Geschichte der Anthropologie und der Bevölkerungspolitik. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Bearbeitung des Konzepts des "Volkskörpers". Die Geschichte der verstrickten Humanwissenschaften sollte also zur Präsentation kommen. Hierzu ist thematisch der Berufsalltag der verstrickten Berufsgruppen relevant, ebenso wie diesbezügliche Karrierebaupläne. Die ideologischen und theoretischen Prämissen, welche die "Euthanasie" legitimieren sollten, und damit auch die Zwangssterilisierung, können als Teil der Gedenkstätte dargestellt werden. Von großem Interesse ist in diesem Zusammenhang der bürokratische Ablauf, wie er in der Tiergartenstraße 4 entwickelt und koordiniert wurde.
Wünschenswert ist die Initiierung eines breit angelegten Diskussionsprozeß bezüglich der Ausgestaltung der Gedenkstätte. Der Kommunikationsprozeß ist Teil der Erinnerungsarbeit selbst, als Gegenpol zum Vergessen. Ein solcher Kommunikationsprozeß kann in Form von Diskussionsveranstaltungen, Vorträgen und Ausstellungen in den Rahmen des Entstehungsprozesses der Gedenkstätte selbst integriert werden. Dieser Entstehungsprozeß kann also bereits als Beginn der Arbeit des Projektes begriffen und als solche wichtig genommen werden. Fragestellungen innerhalb dieses Kommunikationsprozesses können sich so auf die Aufgabenstellung der Gedenkstätte innerhalb des gesellschaftlichen Gesamtzusammenhangs richten. Klärungen können wünschenswert sein bezüglich der Erwartungshaltungen sowohl der Organisatoren als auch der potentiellen Besucher. Auch mit dem Zeitpunkt der Realisierung des Projekts kann eine permanente kommunikative Reflexion desselben als wünschenswert betrachtet und in dessen Aktivitäten als fester Bestandteil verankert werden. In diesem Zusammenhang können auch in der Art der Präsentation der Dokumente die Herangehensweise bei der Erforschung der Thematik und die Kriterien zur Zusammenstellung der Ausstellung transparent gemacht werden.
Es muß sich bei dem geplanten Projekt also nicht notwendigerweise um ein erstarrtes Dokumentieren handeln, sondern die Erinnerung kann als fortdauernder, dynamischer Prozeß gestaltet werden. Die Wertsetzungen der Arbeit des Projektes können offen gelegt werden und damit selbst Teil des Gedenkens. Die Sicherstellung der wissenschaftlichen Qualität der Forschungsarbeit sollte besonders gewichtet sein. Für die Besucher sollte ersichtlich sein, auf Grund welcher Vorentscheidungen die letztlich präsentierte Ausstellung zustande gekommen ist. Dies ermöglicht eine aktive Partizipation der Besucher und damit die Integration eines historischen Horizontes in das gegenwärtige Leben. Den Besuchern kann dadurch die Perspektive eröffnet werden, sich selbstreflexiv die eigene Subjektivität vor Augen zu führen. Somit entsteht die Möglichkeit, Gedenken nicht als starre Konsumhandlung zu erleben, sondern als Aktivität in der Gegenwart.
Bei der Ausgestaltung der Gedenkstätte sollte bedacht werden, daß besonders für jüngere Besucher Raum vorhanden sein sollte, das Gesehene zu verarbeiten. Dies kann konkret räumlich realisiert werden und auch durch entsprechend Personell gesicherte Führungsangebote. Die Besucher sollten die Möglichkeit haben, sich noch am Ort der Gedenkstätte selbst mit deren Inhalten aktiv auseinanderzusetzen. Die Vermittlungsarbeit kann im Rahmen des Projekts als besondere Aufgabe einen angemessenen Stellenwert einnehmen und umgesetzt werden; dies kann in Bezug auf alle Altersgruppen und auch unter Berücksichtigung der Schichtzugehörigkeit und des Bildungsniveaus der Besucher realisiert werden. Spezielle Angebote können zielgruppenorientiert ausgearbeitet werden, dies auch im Rahmen einer Zusammenarbeit mit entsprechenden Institutionen der schulischen, beruflichen, universitären und der Erwachsenenbildung.
Seitens der Initiative für die Gedenkstätte kann sich um die Etablierung eines Forums bemüht werden, daß sich inhaltlich sowie gestalterisch mit der Thematik auseinandersetzt. Dieses Forum kann sich aus Vertretern verschiedener gesellschaftlicher Institutionen und Gruppierungen zusammensetzen und kann zum Teil die Aufgabe mitübernehmen, verbindlich und kontinuierlich an dem Entstehungsprozeß der Gedenkstätte mitzuwirken. Die Arbeitsergebnisse sollten dokumentiert werden und in die letztendlich realisierte Form des Gedenkens miteinfließen. Großes Gewicht hat hierbei die Betroffenenorganisation, der Bund der "Euthanasie"-Geschädigten und Zwangssterilisierten e. V., der eine eigene Dokumentation zusammengestellt hat. Diese soll nach dem Anliegen der Initiatoren fester Bestandteil der Gedenkstätte werden.
Bei der Ausgestaltung der Gedenkstätte sollte darauf geachtet werden, Sinnzusammenhänge nicht stillschweigend zu suggerieren, sondern sich die eigenen Voraussetzungen in einem fundierten Arbeitsprozeß bewußt und inhaltlich faßbar zu machen. So sollten die Grundlagen, vor deren Hintergrund Dokumente ausgewählt und verknüpft werden, reflektiert und wissenschaftlich legitimiert sein. Entscheidungsprozesse sollten als solche wahrgenommen werden und nach offengelegten Methoden strukturiert sein . Dem Anspruch auf Information und Transparenz, Bildung und Kommunikation kann in räumlicher Hinsicht Rechnung getragen werden. Die Nutzung des Raumes muß in diesem Sinn nicht endgültig festgelegt werden, sondern kann je nach inhaltlichen und funktionellen Bedürfnissen und Zielsetzungen variieren. Die Gedenkstätte kann also, über das Betrachten hinaus, Angebote zu weiterer Aktivität seitens der Besucher bieten.
Im Rahmen der konkreten Vorbereitungen kann eine Diskussionsplattform gebildet werden, welche sich mit dem Sinn von Gedenken auseinandersetzt, die Grenzen des rein Praktischen überschreitet. Die Fragestellungen können sich in diesem Zusammenhang auf Wirkung des Gedenkens auf die Gegenwart beziehen, auch auf den Einfluß des Gedenkens auf die Wahrnehmung der Vergangenheit, auch mit deren Konsequenzen für die Schaffung gegenwärtiger Identitäten. Dieser Aspekt kann kritisch beleuchtet werden bei der konkreten Ausarbeitung der permanenten und der Wechselausstellungen. Ein kompetentes Gremium von Mitarbeitern, möglichst interdisziplinär, kann für ein kontinuierliches Reflexionsniveau die Gewähr bieten. Hier wäre es sinnvoll, Geschichtswissenschaften, Soziologie, Philosophie, Kulturarbeit und gestalterische Tätigkeit miteinander zu verbinden. Herausgehoben sei hier nochmals die Tatsache, daß die Entwicklung der Gedenkstätte eines fortdauernden und kontinuierlichen Arbeitsprozesses bedarf.
Die Beteiligten an diesem Prozeß sollten sich der Tatsache bewußt sein, daß ihrer Arbeit immer schon Grundhaltungen des Subjekts in der Welt vorausgehen. Hier sollte gefragt werden, ob und inwieweit, über die Präsentation von Dokumenten und anderer Zeugnisse hinaus, diese Bezüge in der Darstellung explizit zum Tragen kommen sollen. Es muß entschieden werden, ob die Welt als Ort der Möglichkeit zu freiem Handeln thematisiert werden soll. Die letztliche Entscheidung sollte in jedem Fall für den Besucher kenntlich sein.
Überwindung der Sprachlosigkeit?
Vor diesem Hintergrund sollte die konzeptionelle Arbeit nicht in unhinterfragter Pragmatik erstarren. Die Beteiligten sollten sich systematisch und permanent mit der eigenen Interessengebundheit ihres Handelns und ihrer Suche nach Erkenntnis auseinandersetzen. Motivationen sollten im Rahmen der Arbeit diskutiert und geklärt werden.
Anliegen der Gedenkstätte ist, die Ereignisse zwischen 1933 und 1945, "Euthanasie" und Zwangssterilisierung, nicht dem Vergessen anheim fallen zu lassen. In diesem Zusammenhang sollten Möglichkeiten und Grenzen der Erinnerung thematisiert werden. Die Gewalt, die Menschen von Menschen angetan wurde und deren penible Durchorganisierung und Bürokratisierung war und ist eine Leerstelle in der Verständigung, in der Kommunikation, und insbesondere in der Sprache. Fraglich ist, inwiefern und ob die Sprachlosigkeit vor der Monstrosität menschlichen Handelns durch Beredsamkeit abgelöst werden kann und soll. Es stellt sich die Frage, ob Beredsamkeit die Sprachlosigkeit nicht bloß übertüncht, ob nicht das geschäftige Sprechen mit der Sprachlosigkeit selbst identisch ist. Der museumspraktische Umgang mit dem Gegenstand kann leicht das Gegenteil der ursprünglichen Absicht bewirken: das Vergessen. Die lückenlose Logik einer Ausstellung kann Ausschluß bedeuten. Ausgeschlossen wird dabei die eigentliche Tat, die Gegenstand der Rede sein soll. Für "Euthanasie" und Zwangssterilisierung bedeutet dies systematische Folterung und Tötung von Menschen. Der Wahl der Symbolik bei der Darstellung kommt entscheidende Bedeutung zu. Der Wahl der Symbolik der Sprache sind bei weitem nicht alle Möglichkeiten erschöpft, sondern Skepsis ist durchaus angebracht. Dem Zeichencode der Sprache des Alltags ist die Dimension des menschlichen Aggressionspotentials nur begrenzt erschlossen. Diese Sprachlosigkeit kann leicht verdrängt werden durch erklärende Gesprächigkeit. Die Erklärung kann sich dabei leicht selbst innerhalb der ausschließenden Rede bewegen, ohne daß sie dies bemerkt. So kann Erinnerungsarbeit Perpetuierung eines beredten Schweigens sein. Den an der Entwicklung der Gedenkstätte Beteiligten sollte bewußt sein, daß die Rede ist von menschlicher Aggression. Sprechen über "Euthanasie" und Zwangssterilisation bedeutet auch Sprechen über den Menschen und seine Aggressivität, bedeutet Sprechen über menschliches Verhalten, welches auch das eigene miteinschließt, aber auch Sprechen über die Möglichkeit zu freiem Handeln. Erinnerungsarbeit kann in diesem Sinn Erweiterung des eigenen Handlungshorizontes meinen, Vergegenwärtigung des menschlichen Potentials subjektiver Handlungsfreiheit. In diesem Sinn kann Sprechen den Kreislauf der Rede des Nicht-Sagens durchbrechen.
Praktische Möglichkeiten der Umsetzung
Die Form der Darstellung kann das Anliegen der Gedenkstätte also über das geschriebene und gesprochene Wort hinaus deutlich werden lassen. Die Gedenkstätte möchte Anstoß sein, sich über das Auflisten historischer Daten hinaus mit der Dynamik und der Vielschichtigkeit der Thematik auseinanderzusetzen. Vermittlungsarbeit und inhaltliche Entscheidungen für oder gegen bestimmte Ausstellungsobjekte bedingen sich einander. Die Tragweite dieser Entscheidungen und die Thematik selbst schließen aus, die Ausgestaltung der Gedenkstätte im Rahmen dieser konzeptionellen Überlegungen zu determinieren. Im folgenden soll auf Möglichkeiten der praktischen Museumsarbeit eingegangen werden. Diese verstehen sich als Anhaltspunkte für die weitere Arbeit und erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Möglichkeiten der praktischen Umsetzung von Vermittlungsarbeit werden exemplarisch aufgeführt.
Führungen
Führungen sind für die Vermittlungsarbeit unentbehrlich. Auch hier sollten kompetente Fachleute diese ausarbeiten. Führungen können monologisch organisiert sein, aber auch eine Gesprächssituation zwischen Mitarbeiter und Besucher herstellen. Führungen können dokumentiert und den Besuchern als schriftliches Material angeboten werden. Es besteht die Möglichkeit, Führungen themenspezifisch zu gestalten und zielgruppenorientiert durchzufahren. Diese Aufgabe sollte von Gedenkstätten- und Museumspädagogen übernommen werden.
Medien/Materialien
Die Erarbeitung von Dia-Vorträgen, Film- und Videomaterial, Tonbandaufnahmen etc. ist im Rahmen des geplanten Projekts sinnvoll. Ebenso die Erstellung schriftlichen Materials. Darüber hinaus können Film- und Toncollagen im Rahmen einzelner Veranstaltungen die Darstellung von Schwerpunktsetzungen erleichtern. Lesemappen können permanenter Bestandteil der Gedenkstätte sein. Auch bei deren Ausarbeitung sollte die fachwissenschaftliche Fundierung sichergestellt sein. Literatur zur Thematik der Gedenkstätte kann zur Einsicht geboten werden. Notwendig wäre in diesem Zusammenhang die Möglichkeit für die Besucher, sich ungestört in diese vertiefen zu können. Schriftliche Führer und Informationsblätter können personale Führungen ergänzen.
Veranstaltungen
Neben einer Dauerausstellung sind wechselnde sinnvoll, um thematische Schwerpunkte zu setzen. Fachtagungen, Fortbildungen, Informations- und Diskussionsveranstaltungen, Lesungen, Filmvorführungen etc. sollten im Rahmen des Projekts als Möglichkeiten der Vermittlung und Auseinandersetzung geboten werden. Besucher, die weitergehende Informationen und eine eingehende Beschäftigung mit der Thematik suchen, sollten kompetente personale Unterstützung finden. Laufende Veranstaltungen dienen der permanenten Auseinandersetzung, dem aktiven Erinnern.
Räumliche Aspekte
Neben des Raumes, der für die Ausstellung der "Prinzhorn Sammlung" und für die Gedenkstätte vorgesehen ist, sollte Raum zur Nutzung für die Veranstaltungen berücksichtigt werden, ebenso ein Leseraum, in dem sich die Besucher ohne Zeitdruck aufhalten können. Eine multifunktionale Nutzung, von Räumen wäre möglich. Hierbei sollten die Bedürfnisse der Besucher - insbesondere Jugendlicher - berücksichtigt werden, welche eine kommunikative Auseinandersetzung mit dem Gesehenen suchen. Bedacht werden müßte auch die Notwendigkeit eines Depots.
Zusammenarbeit mit Bildungseinrichtungen
Wünschenswert ist eine intensive Zusammenarbeit mit Institutionen der schulischen, der universitären und der Erwachsenenbildung. in Zusammenarbeit mit diesen können Kurse, Unterrichtsreihen, Arbeitsgemeinschaften und Gesprächskreise initiiert, Veranstaltungen für Lehrer und Erzieher angeboten werden.
Angebote für Jugendliche
Jugendliche sollten fachlich und pädagogisch kompetent an die Thematik herangeführt werden. In diesem Zusammenhang kann u. a. die Verwendung künstlerischer Ausdrucksmittel, die Jugendliche aktiv einbezieht, sinnvoll sein. Wünschenswert wäre die Möglichkeit, ein solches Angebot seitens des Projekts sowohl in pädagogisch-personeller als auch in material-räumlicher Hinsicht zu schaffen.
Die inhaltliche Konkretisierung des Projekts umfaßt weitgehende Forschungs- und Dokumentationsaufgaben. Diese sollten von fachwissenschaftlichen Mitarbeitern ausgeführt werden.
Einzelbesuchern der Gedenkstätte sollte die Möglichkeit geboten werden, in aktive Kommunikation zu treten, sofern dies gewünscht wird.
Möglichkeiten der inhaltlich-konkreten Annäherung an die Thematik
Von besonderer Wichtigkeit bei der inhaltlich-konkreten Erarbeitung der Ausstellung der Gedenkstätte ist die umfangreiche Einbeziehung von Überlebenden Opfern. Ihre Erfahrungen sollten unbedingt festgehalten und dokumentiert werden, ihre Standpunkte als Teil der Projektarbeit einfließen.Interviews mit Überlebenden können als Dokumentation in der Gedenkstätte ihren Platz haben.
Anliegen der Initiatoren ist, Lebenswelten der Opfer sichtbar zu machen. Dies kann in vielfältiger Form geschehen. So kann sich die Darstellung auf Gegenstände des täglichen Bedarfs, auf Fotografien, auf biographische Dokumente beziehen. In diesem Zusammenhang können Wechselausstellungen, auch von Arbeitsgruppen, welche außerhalb des Projekts entstanden sind, erarbeitet und durchgeführt werden. Damit würde eine Auseinandersetzung mit dem Leben der Opfer stattfinden, welche Empathie ermöglicht. Eine empathische Herangehensweise sollte generell Grundlage der Gedenkstättenarbeit sein .
Über die Darstellung individueller Lebensläufe kann die Geschichte der "Euthanasie" und Zwangssterilisierung dokumentiert werden. Hier müssen alle Menschen mit den unterschiedlichen Hintergründen, auf Grund derer sie Opfer wurden mit ihrer Geschichte repräsentiert sein. Verfahren von Zwangssterilisation und Zwangshospitalisierung können rekonstruiert und dargestellt werden.
Zwangshospitalisierungen wurden über unterschiedliche Einrichtungen des Gesund-heits-, Für-sorge- und Schulwesens eingeleitet. Über Fallbeispiele können die gestellten "Diagnosen" im Zusammenhang dokumentiert werden mit dem Leben derer, die ihnen zum Opfer fielen. Ebenso sollten die Lebensbedingungen von Anstaltspatienten dargestellt werden. In diesen Dokumentationen sollte ersichtlich werden, um welch unterschiedliche Menschen es sich bei den Opfern handelte. Die Darstellung darf nicht auf eine Gruppe von Opfern verkürzt werden. Aus der Rekonstruktion individueller Biographien sollte deutlich werden, auf Grund welcher Kriterien der nationalsozialistischen Ideologie Menschen als "lebensunwert" "selektiert" wurden.
Die nationalsozialistische Ideologie des "Volkskörpers" sollte expliziert werden in ihren unmittelbaren Konsequenzen für die Opfer. In diesen Zusammenhang gehört die Geschichte der Eugenik und der Anthropologie und auch die der Bevölkerungspolitik. Der Zugriff auf Sexualität durch die Ideologie gehört ebenfalls zu diesem Komplex. Die Entwicklung und das Inkrafttreten des "Erbgesundheitsgesetzes" sollte Gegenstand der Bearbeitung und Präsentation sein. Ebenso dessen schließliche Anwendung. Die Organisationsstruktur und der bürokratische Ablauf der "Euthanasie" ist wesentlicher Gegenstand der Gedenkstätte.
Über die Darstellung des Leidens der Opfer hinaus, soll also die Täterschaft umfassend historisch bearbeitet und dokumentiert werden. Auch in Bezug auf die Täter sollten Biographien Teil der Ausstellung sein. Der institutionelle Ablauf sollte umfassend aufbereitet werden. Für die Besucher der Gedenkstätte sollten institutionelle und individuelle Verstrickungen erkennbar sein. Dazu können von Behörden erstellte Bescheide, Gerichtsurteile, Krankenberichte etc. zur Präsentation kommen. Der konkrete Ablauf der "Euthanasie" selbst sollte dargestellt werden. Auch Aussagen der Täter, bei Vernehmungen vor Gericht, soweit diese stattfanden, sollten nicht ausgespart werden.
Hier wird deutlich, von welch außerordentlicher Bedeutung die Art der Verknüpfung der Dokumente ist. Diese muß historisch-fachwissenschaftlich fundiert sein. Die Darstellungsweise sollte keine ideologisch gefärbten Schlußfolgerungen suggerieren. In dem Bewußtsein, daß Geschichtsschreibung immer selbst schon Interpretation beinhaltet, sollte die Auswahl der Dokumente transparent gemacht und begründet werden.
Im Rahmen der Arbeit der Gedenkstätte kann eine Auseinandersetzung mit der Persönlichkeitsstruktur der Täter stattfinden. Dies wäre wünschenswert und kann wiederum nicht auf eine geschichtswissenschaftliche Arbeit beschränkt bleiben. Hier kommen Disziplinen wie Soziologie, Psychologie und Philosophie zum Tragen. Dies zeigt die Notwendigkeit eines wissenschaftlichen Beirats.
Die Thematisierung der Persönlichkeitsstruktur der Täter, aber auch deren gesamter Lebenszusammenhang, ist relevant, insofern man die Thematisierung von "Euthanasie" und Zwangssterilisierung als Thematisierung menschlichen Verhaltens begreift. Die Arbeitsresultate dieser Auseinandersetzung könnten in Form themenspezifischer Wechselausstellungen, in Veranstaltungen, Kolloquien und Tagungen debattiert werden.
Mittelfristiges Ziel der Initiative zur Errichtung der Gedenkstätte sollte die Organisation und Durchführung wissenschaftlicher Kolloquien zur Thematik sein. Deren Arbeit sollte dokumentiert werden. Gleichzeitig sollten intensive Kontakte zu überlebenden Opfern aufgebaut und eine Basis f ü r deren Kontinuität geschaffen werden. Die Etablierung eines Arbeitskreises wäre sinnvoll. Hier könnten mit der Thematik befaßte Interessierte zu Wort kommen. Das Projekt sollte eine permanente Dokumentation dieser Arbeitsgespräche personell sicherstellen. Um über das Stadium der Initiative hinauszukommen, wäre eine kontinuierliche inhaltliche Arbeit und Kontaktaufbau und -pflege wünschenswert.
Nachweis der herangezogenen Literatur:
(Praktisch-konzeptionelle Arbeitsvorschläge)
- Bock, Gisela, Zwangssterilisation im Nationalsozialismus, Studien zur Rassenpolitik und Frauenpolitik, Opladen 1986
- Dokumentationen des Bundes der "Euthanasie"-Geschädigten und Zwangssterilisierten e. V., Detmold
- Hense, Heide, Das Museum als gesellschaftlicher Lernort, Frankfurt a. M. 1990
- Liebertz, Charmaine, Kunstdidaktische Aspekte in der Museumspädagogik, Entwicklung und Gegenwart, Weinheim 1988
- Lutz, Thomas, Brebeck, Wulff E., Hepp, Nicolas (Redaktion), Über-Lebens-Mittel, Kunst aus Konzentrationslagern und in Gedenkstätten für Opfer des Nationalsozialismus, Marburg 1992
- Matz, Reinhard, Die unsichtbaren Lager, Das Verschwinden der Vergangenheit im Gedenken, Reinbek bei Hamburg 1993
- Schmeer-Sturm, M.-L.,Thinesse-Demel, J., Ulbricht, K., Vieregg, H. (Hrsg.), Museumspädagogik, Grundlagen und Praxisberichte, Baltmannsweiler 1990
- Weschenfelder, Klaus, Zacharias, Wolfgang, Handbuch Museumspädagogik, Düsseldorf 1992