WEITERE NACHRICHTEN

 

T4-Umzug am 2. Oktober 2000

Redebeitrag von René Talbot
zur Gedenkfeier am Anfang des T4 Umzug

Zum 6.ten Mal versammeln wir uns. Während letztes Jahr noch andere Gedenkfeiern veranstaltet haben, ist es jetzt an der Zeit, daß eine positive Entscheidung über das "Haus des Eigensinns" als Gedenksätte für die Opfer des ärztlichen Massenmords gefällt wird.

Die Ideologie, der unsere Schwestern und Brüder zum Opfer gefallen sind, die psychiatrische Genetik, feiert als Neo-Nazi Eugenik ein Come back. Die 8. Weltkonferenz hat diesen August in Versailles stattgefunden.

Mit pränataler Gleichschaltung soll das erreicht werden, was mit der Gaskammer mißlungen ist: der Verrücktheit den Gar aus zu machen.

Aber es gibt auch Erfolge zu berichten:
mit der Ausstellung „The Missing Link" konnten wir über die Rolle von Karl Bonhoeffer und die Entwicklung zum Genozid durch den gewaltsamen körperlichen Eingriff bei Zwangssterilisation aufklären.

Das Bundesumweltministerium, die Ärztekammer und verschiedene Rathäuser zeigen die Ausstellung, obwohl die Skulpturen, die Igael Tumarkin in Israel aus den Büsten von Karl Bonhoeffer angefertigt hat, vom Staatschutz beschlagnahmt wurden.

Diese Tatsache wirft allerdings ein Licht auf die wirklichen gesellschaftlichen Verhältnisse:
Der Staat scheint in Gefahr zu geraten, wenn an einer seiner Stützen gerüttelt wird, dem Nazi-Unrechts-Arzt Karl Bonhoeffer, dem von der größten Psychiatrie in Berlin unverändert als Namenspatron gehuldigt wird. Tatsächlich haben wir inzwischen die Revolution in der Psychiatrie losgetreten: Mit der Vorsorgevollmacht können wir erfolgreich verhindern, daß man mit Zwang und Gewalt diagnostisch verleumdet, eingesperrt und mit irgendwelchen Foltermethoden zwangsbehandelt wird.

Oh hättet ihr Brüder und Schwestern euch doch damals schon schützen können!

Ich bitte um eine Schweigeminute für die Hunderttausenden, deren Ermordung von diesem Ort aus organisiert wurde.


 

Aus der Taz vom 16.10.2000, Seite 20:

Gedenktafel beschmiert
Unbekannte haben ein Mahnmal für die Euthanasie-Opfer der Nationalsozialisten in Berlin geschändet. Wie die Polizei mitteilte, beschmierten die Täter die Gedenktafel im Bezirk Tiergarten offenbar am Wochendende mit Fäkalien. Ein rechtsextremer Hintergrund der Tat sei nicht auszuschließen, der Staatsschutz habe die Ermittlungen aufgenommen, hieß es. Die Schändung wurde am Sonntagmorgen von einem Passanten entdeckt und am Abend der Polizei gemeldet. Die etwa drei Meter große Gedenktrafel aus Bronze erinnert an die erste große Deportation von Opfern des nationalsozialistischen Euthanasie-Programms im Jahre 1940. Die Feuerwehr reinigte die Tafel und einen ebenfalls beschmutzten Gedenkkranz.
AFP

 


 

Copyright © Frankfurter Rundschau vom 24.03.2001

Neues Gutachten soll Klarheit
über Tode in der Psychiatrie
bringen
Staatsanwaltschaft will wissen, ob sich auch bei der zweiten Patientin Spuren des Betäubungsmittels finden

Von Norbert Leppert
Zur Aufklärung der beiden rätselhaften Todesfälle, die sich vergangenes Jahr innerhalb von zwei Monaten auf der geschlossenen Station der Uni-Psychiatrie ereigneten, hat das Zentrum der Rechtsmedizin ein neues Gutachten angekündigt. Wie dessen Leiter Professor Hans Jürgen Bratzke auf Anfrage bestätigte, soll die Expertise "in zwei bis vier Wochen" vorliegen.

Ausgangspunkt des Ermittlungsverfahrens ist der Tod von zwei Patientinnen, 44 und 31 Jahre alt, für den laut Obduktionsbefund "keine fassbare Ursache" gefunden wurde. Im Fall der jüngeren Frau ergab die toxikologische Untersuchung hingegen Spuren des Betäubungsmittels Propofol, das auf psychiatrischen Stationen nicht verwendet wird. Professor Bratzke: "Für uns der Verdacht, dass auch eine Serientötung stattgefunden haben könnte."

Drei Pflegekräfte, die vom Dienst auf Station 93. 1 suspendiert wurden, stehen im Zentrum der Ermittlungen. Zum Zeitpunkt beider Todesfälle waren sie jeweils im Dienst, oder hatten unmittelbar davor mit den Patientinnen zu tun. Wie die Beschuldigten gegenüber Polizei und Staatsanwaltschaft beteuern, hätten sie zu keinem Zeitpunkt Medikamente verabreicht, die ärztlich nicht verordnet waren.

Auf Fragen der Ermittler nach Kollegen, die Propofol verabreicht haben könnten, geben die Beschuldigten indes eher ausweichende Antworten. Entweder möchten sie dazu nichts sagen oder aber sie sagen, dass sie nur für sich selbst sprechen könnten. Darüber hinaus enthalten die Aussagen einige Widersprüche und Ungereimtheiten, die nach Einschätzung von Staatsanwalt Matthias Mackenthun aufklärungsbedürftig sind.

Bedeutend für den weiteren Gang des Verfahrens sind die von der Staatsanwaltschaft in Auftrag gegebenen Gutachten. Für Bratzke und den Toxikologen Professor Günter Kauert steht fest, dass die bisher nachgewiesene Menge Propofol in Magen und Gallenblase zu gering sei, um kausal zum Tod zu führen. Auch andere Arzneistoffe, die von den Ärzten verordnet und in der chemisch-toxikologischen Analyse nachgewiesen wurden, hätten nicht zu einem Tod infolge Vergiftung geführt.

Nach Ansicht von Rechtsanwältin Jutta Laue, die als Nebenklägerin auftritt, greifen Kauerts Überlegungen "zu kurz". Unabhängig von der nachgewiesenen Menge sei nicht geklärt, wie sich Propofol in Wechselwirkung zu anderen verabreichten Medikamenten verhält. Eben so sei zu prüfen, ob die Arzneistoffe in ihrer Gesamtheit einen epileptischen Anfall ausgelöst haben können, der zum Tod führte. Hierfür sprächen kleine Einblutungen in der Zungenmuskulatur, die bei der Leichenöffnung festgestellt wurden. Im übrigen, so die Anwältin, hätte das Augenmerk als erstes der Frage gelten müssen, ob die Patientinnen "sachgerecht" behandelt wurden. In diesem Zusammenhang müssten die beiden Stationsärzte vernommen werden, die sich allerdings inzwischen nicht mehr in der Bundesrepublik aufhalten.

Wie Bratzke als Chef der Rechtsmedizin im Gespräch mit der FR erklärte, kann die Staatsanwaltschaft "in zwei bis vier Wochen" mit neuen Gutachten rechnen. Mittlerweile sei die Rechtsmedizin auch im Besitz sämtlicher Krankenunterlagen. Im Fall der 44 Jahre alt gewordenen Patientin soll im Auftrag des Staatsanwalts an entnommenen Gewebeteilen nachträglich untersucht werden, ob sie "Propofol"-Spuren aufweisen.

Nach Meinung der Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte, die von München aus die Vorfälle in Frankfurt beobachtet, "wäre anzuraten", nicht weiter Rechtsmediziner der Uni-Kliniken Frankfurt mit der Aufklärung zu befassen, sondern Spezialisten "aus einer anderen Stadt als neutrale Dritte hinzuziehen". Gefahren einer Interessenkollision kann Bratzke indes nicht erkennen: "Wir fühlen uns als völlig neutrale Organisation. Entweder ich bewahre meine Unabhängigkeit, oder ich kann gleich einpacken."

Um jedem falschen Anschein entgegenzuwirken, will die Staatsanwaltschaft vor Abschluss ihrer Ermittlungen einen weiteren Sachverständigen einschalten, der auf dem Gebiet der Rechtsmedizin sowie der Psychopharmakologie als Kapazität gilt. In Betracht kommt der Baseler Professor Volker Dittmann, der bereits Erfahrung hat als Gerichtsgutachter bei Todesfällen in Kliniken der Bundesrepublik. .

Aktenzeichen: 8930/ Js 20379/01


 

Copyright © Frankfurter Rundschau vom 20.03.2001

Leserbriefe:
Tod in der Psychiatrie
Polizei und Staatsanwaltschaft untersuchen den Tod zweier Patientinnen in der Psychiatrie der Uni-Klinik (FR vom 21. Februar).

Ich denke, es wäre wirklich lohnenswert, mal genau zu untersuchen, ob psychiatrische Methoden nicht mehr zerstörerisch für die Persönlichkeit sind, als dass sie Gutes tun. Bestes Beispiel finde ich immer noch, dass kein Kind in die Steckdose fassen soll, jedoch Psychiater und ihre Gehilfen Menschen unter Starkstrom stellen bei den Elektro-Schock-Anwendungen. Alles, was da passiert ist, dass Gehirn und andere Körperzellen verbrennen.

Christine Carucci, Karlsruhe

*

Was da wirklich hinter verschlossenen Türen vor sich geht, ist sicherlich allgemein schlimmer, als angenommen wird. Die Psychiater haben sich jedoch so eine Position geschaffen, dass jegliche Kritik verboten zu sein scheint. Nicht selten belegen sie die kritisierende Person mit einem betrügerischen psychiatrischen Krankheitsetikett, um die Person unglaubwürdig erscheinen zu lassen, und geben an, dass sie selbst behandlungsbedürftig sei. Rachegefühle sind dabei deutlich zu erkennen und nicht der Wille zu helfen.

Edeltraut Groz, Stuttgart

*

In jedem anderen Beruf würden solche Skandale schwerwiegende Untersuchungen, strenge Gesetze, Schadensersatzforderungen und letztlich den Ruin des Verursachenden nach sich ziehen. Man stelle sich z. B. einen Dachdecker vor, dessen Dächer abrutschen und Menschen töten oder verletzen!

Das Mindeste, was ihm passieren würde, ist, dass er seinen Beruf nicht mehr ausüben darf, oder er geht ins Gefängnis wegen fahrlässiger Tötung, und/oder er muss eine hohe Strafe zahlen (auf jeden Fall aber darf er keine Dächer mehr decken, und sein Leben ist ruiniert).

Aber wenn Psychiater - sei es aus Unfähigkeit oder auch "nur" Verantwortungslosigkeit - einen Verbrecher entkommen lassen, geschieht ihnen gar nichts, sie bekommen weiterhin ihr Gehalt, ihre staatlichen Subventionen (von unserem Geld!) und dann noch eine schöne Pension!

Ilse Nohava, Neuss

*

Verklagte Psychiater kommen fast immer aus der Patsche, indem sie sich von einem Berufskollegen bescheinigen lassen, dass ihre Taten "korrekte Behandlung nach dem Stand der Wissenschaft" waren. Das gibt es in keinem anderen Beruf.

Dr. Paul G. Fink, Filderstadt


 

Copyright © Frankfurter Rundschau vom 21.2.2001

Tödliches Narkosemittel

Pflegehelfer in Verdacht Ermittler durchsuchten Psychiatrie und Wohnungen
Von Norbert Leppert
Im vergangenen Jahr starben auf der geschlossenen Station der Psychiatrie in der Frankfurter Uniklinik zwei Patientinnen unter rätselhaften Umständen. Jetzt haben Polizei und Staatsanwaltschaft die Klinik sowie Wohnungen des Pflegepersonals durchsucht. Wie gestern bestätigt wurde, konzentrieren sich die Ermittlungen auf einen 25 Jahre alten Krankenpflegehelfer, der im Verdacht steht, den Frauen heimlich ein Narkosemittel gespritzt zu haben.

Die gegen ihren Willen untergebrachten Patientinnen, 44 und 31 Jahre alt, waren im vergangenen Jahr in der Uni-Psychiatrie gestorben, ohne dass sich dafür laut Obduktionsbefund "eine fassbare Todesursache" ergeben hätte. Im Fall der jüngeren, die an schizophrener Psychose erkrankt war, konnten in der Rechtsmedizin indes Spuren eines Medikaments nachgewiesen werden, das auf psychiatrischen Stationen grundsätzlich keine Verwendung findet: das Narkotikum "Propofol".

Zeugenaussagen zufolge hatten sich die Patientinnen unmittelbar vor ihrem Tod in einem Zustand der Benommenheit und Schläfrigkeit befunden, der nicht vereinbar war mit der von den Ärzten verordneten Medikation. Da die Frauen als ungewöhnlich schwierige Patientinnen galten, ist bei den Ermittlungsbehörden der Verdacht aufgetaucht, jemand vom Pflegepersonal könnte heimlich nach "Propofol" gegriffen haben, um sie zur Ruhe zu bringen.

Auf Beschluss des Amtsgerichts rückten Mordkommission und Staatsanwaltschaft am Montag um 9 Uhr aus, um an vier Orten nach "Propofol" zu fahnden. Durchsucht wurden die Wohnungen des leitenden Stationspflegers sowie die einer Pflegehelferin und des 25 Jahre alten Pflegehelfers. Darüber hinaus wurden Räume auf der Station kontrolliert. Von dem Narkosemittel konnte jedoch, wie Staatsanwalt Matthias Mackenthun auf Anfrage bestätigte, nichts gefunden werden.

Der beschuldigte Pflegehelfer, mit dessen Vernehmung am Dienstag von der Mordkommission begonnen wurde, war zum Zeitpunkt der Todesfälle auf Station, am 21. April im Früh-, am 29. Juni 2000 im Spätdienst. Ersten Ermittlungen zufolge soll bei ihm "eine Neigung zu selbstständiger Therapie" bestehen, wobei er - Sohn einer Ärztin - äußerst bestimmt auftrete. Von dem 25-Jährigen wird berichtet, er sei bereits an verschiedenen Kliniken tätig gewesen und dort nach "Auffälligkeiten" ausgeschieden. Vom Dienst auf der geschlossenen Station ist er, so berichtet ein Sprecher der Ermittlungsbehörden, inzwischen entbunden worden.

Bereits vor der polizeilichen Durchsuchungsaktion hatte Professor Konrad Maurer, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie I, nach Informationen der Staatsanwaltschaft veranlasst, dass die Station 93.1 nach "Propofol" durchsucht wurde - ebenfalls ohne Ergebnis. Da zwischenzeitlich feststeht, dass die Station das Mittel auch nicht über die zentrale Klinikapotheke bezogen hat, gehen die Ermittler nun davon aus, dass es von draußen in die Klinik mitgebracht wurde.

Im Fall der 31-jährigen Patientin war zunächst versucht worden, die "Propofol" -Spuren damit zu erklären, dass das Narkosemittel im Rahmen der Reanimation gespritzt worden sein könnte. Wie sich jedoch aus dem Protokoll der Notärzte ergab, hatten sie das Medikament nicht eingesetzt. Für die Fahnder mithin der dringende Verdacht "dass jemand in der Klinik herumrennt mit Narkosespritze".

Zwar war im Körper der 44-jährigen Patientin, die zwei Monate vorher starb, kein "Propofol" gefunden worden, doch dafür gäbe es nach Ansicht der Ermittler eine Erklärung. Abweichend von der Regel, kam es erst 14 Tage nach dem Tod zur Obduktion - mit der Folge, dass sich das Kurznarkotikum spurlos verflüchtigt haben könnte. Mysteriös erscheinen dabei die Gründe der Verzögerung: Obwohl die Leichenöffnung beschlossene Sache war, geschah nichts, worauf der Leichnam zur Einäscherung bereits auf dem Hauptfriedhof lag und auf Intervention der Angehörigen von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt wurde. In diesem Zusammenhang haben die Ermittler nun vor allem Fragen an den behandelnden Arzt Dr. S., der aber nicht mehr in der Uniklinik ist, sondern sich im Ausland aufhalten soll.


 

Leserbrief:
Copyright © Frankfurter Rundschau 6.3.2001
Hinter Mauern
Bei einer Hausdurchsuchung in der Psychiatrie der Uniklinik suchten Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft nach Beweisen zur Aufklärung von zwei Todesfällen

(FR vom 21. Februar).
Sehr erfreulich, dass endlich einmal etwas geschieht, um hinter die Mauern der ansonsten sehr verschwiegenen Psychiatrie zu schauen. Dass es gerade die Universitätsklinik in Frankfurt trifft, mag man werten, wie man möchte; dass eigentlich die Zustände in und der Umgang mit psychisch kranken Menschen in psychiatrischen Anstalten ganz allgemein untersucht werden müsste, ist noch nicht ins Bewusstsein gedrungen.

Zustände, wobei Patienten gegen ihren Willen Medikamente (und zwar satte Hämmer!) erhalten bis hin zu Fällen beabsichtigter oder "versehentlicher" Tötung kommen oft, zu oft vor. Es ist an der Zeit, dass sich die Öffentlichkeit mit diesem Thema auseinander setzt, denn die beiden geschilderten Fälle sind keineswegs Einzelfälle.

Menschen, die gegen ihren Willen und oftmals ohne wirklichen Grund eingeliefert werden, stellen Anlass zur Besorgnis über die "Allmacht" der Götter in Weiß dar - speziell aber der psychiatrischen Herrscher über geisteskrank oder gesund. Ich begrüße die Initiative Ihrer Zeitung, dieses Thema auch mal zu einem Titelthema zu machen.

Bleibt zu hoffen, dass die Ermittlungen diesmal nicht im Sande verlaufen.
Peter Talkenberger, Heusenstamm


 

Copyright © Frankfurter Rundschau 2.3.2001
Psychiatrie-Opfer pocht auf Abfindung

Fehldiagnose und hochdosierte Psychopharmaka hatten womöglich Behinderung zur Folge

In einem seit 1996 vor der Zivilkammer des Landgerichts laufenden Verfahren gegen die psychiatrische Abteilung der Uniklinik deutet sich nun eine Vergleichslösung an. Ein Vertreter der Uniklinik, der eine frühere Patientin Fehlbehandlung mit für sie schlimmen Folgen vorwirft, deutete während eines Verhandlungstermins die mögliche Bereitschaft zur Zahlung einer Vergleichssumme an.

Klägerin in dem Verfahren ist die heute 43 Jahre alte Waltraud S., die 1974 als Jugendliche gegen ihren Willen 13 Monate in der Psychiatrie der Uniklinik verbracht hatte und in dieser Zeit mit hochdosierten Psychopharmaka behandelt worden war. In dem Verfahren ist unstrittig, dass die damalige Diagnose "Hebephrenie" (jugendliche Schizophrenie) falsch war, Waltraud S. also wegen einer bloßen Pubertätskrise in die Psychiatrie gesperrt wurde. Die Uniklinik wies jedoch bisher jede Verantwortung von sich, die Diagnose sei damals nach dem Stand der Wissenschaft erfolgt.

Dagegen wirft Waltraud S. der Klinik vor, wider besseres Wissen gehandelt und sie als Gesunde mit Neuroleptika behandelt zu haben. Die Rollstuhlfahrerin führt ihre heutige Behinderung auf die damaligen Medikamentengaben zurück. Der Prozess hat für das Psychiatrie-Opfer deshalb große Bedeutung, weil Frankfurt den Beginn einer jahrelangen Odyssee durch andere Psychiatrien in Wiesbaden, Gießen und Bremen markierte, die Waltraud S. ebenfalls verklagt hat. Überall beriefen sich die Ärzte auf die Fehldiagnose der Uniklinik.

Obwohl bereits Gutachten beider Parteien vorliegen, sah Richter Thomas Estel am Mittwoch weiteren Klärungsbedarf. Insbesondere sei die Frage zu klären, welche Auswirkungen die Verabreichung von Neuroleptika im Zusammenhang mit Kinderlähmung habe. Waltraud S. war im Alter von drei Jahren an Kinderlähmung erkrankt. Nach ihrer Auffassung waren die Nebenwirkungen der Medikamente schon damals bekannt. Richter Estel sagte, das Gericht werde beim Verkündungstermin am 11. April wohl einen Beweis-Beschluss fassen. Es scheine ihm nötig, ein Obergutachten einzuholen.

Der vom Gericht beauftragte Gutachter Dieter Felbel (Ravensburg) hatte kein schuldhaftes Verhalten der Uniklinik bemerkt. Dagegen war die von der Klägerin beauftragte Gutachterin Charlotte Köttgen (Hamburg) zu dem Schluss gekommen, die negativen Folgewirkungen der Psychopharmaka seien auch damals bekannt gewesen.

Angesichts der schwierigen Beweislage, die sich noch lange hinziehen könne, regte der Richter einen Vergleich an. Eine Abfindung müsse sich aber "in einem Bereich befinden, den die Klägerin akzeptieren kann". Mit den in der Klage geforderten 20 000 Mark werde sie sich nicht zufrieden geben, sagte Waltraud S. "Ich bin erwerbsunfähig und muss von weniger als 1000 Mark leben."

Prinzipiell könne er sich eine Abfindung vorstellen, um das Verfahren zu beenden, sagte der Hausjurist der Uniklinik, Walter Müller. Eine Zahlung müsse allerdings zuvor dem zuständigen Ministerium in Wiesbaden vorgelegt werden. Das Gericht wird den Parteien in den nächsten Tagen einen Vergleichsvorschlag präsentieren.
emem



Copyright © Welt am Sonntag vom 22. Oktober 2000, Seite 4
B-Waffen Experimente stoßen auf erhebliche Sicherheitsbedenken des Umweltbundesamts
Bundeswehr beteiligt sich an Genforschung
Von Volker Koop
Berlin- Die Bundeswehr betreibt Genforschung in erheblich größerem Umfang als bisher bekannt. Nach einer aktuellen Übersicht, die WELT am SONNTAG vorliegt, ist die Bundeswehr an mindestens 25 solcher Projekte beteiligt.
Die Palette reicht von Forschung an gentechnisch veränderten Tomaten, Kartoffeln oder Sojabohnen bis hin zu Experimenten mit Kolibakterien sowie Milzbrand-, Cholera- oder Pesterregern. Ziel der Arbeiten: Biologische Kampfstoffe sollen besser aufgespürt, wirksame Gegenmittel entwickelt werden.
Nach Ansicht von Experten des Umweltbundesamtes wirft die Forschung jedoch zum Teil erhebliche Sicherheitsfragen auf. Als besonders „delikat" bezeichneten die Fachleute gegenüber WELT am SONNTAG die Arbeit der Bundeswehr mit potentiellen B-Waffen-Erregern, die mit einer Resistenz gegen Antibiotika ausgestattet wurden. Damit seien die Erreger noch „waffentauglicher" gemacht worden, da sie im Ernstfall mit dem verwendeten Antibiotikum nicht mehr behandelt könnten. Fazit der Experten: Die Bundeswehr verfolge sicherlich keine offensive B-Waffenforschung, sei aber offensichtlich „einfach ignorant gegenüber der Zweischneidigkeit defensiver Forschung". Bemerkenswert sei im Übrigen, dass gerade dieses Forschungsvorhaben auf einer Übersicht für die Mitglieder des Verteidigungsausschusses nicht aufgeführt worden sei. Zudem seien auch die in diesem Fall zuständigen bayerischen Gentechnik-Überwachungsbehörden nicht, wie es erforderlich gewesen wäre, über die Antibiotikaresistenz des Bakteriums unterrichtet worden.
Auch bei einem weiteren gentechnischen Projekt, das vom Verteidigungsministerium finanziert wird, äußern Wissenschaftler Zweifel. Dabei geht es um die Expression von Milzbrand-Genen in Salmonellen. Zwar stehe auch hinter diesen Forschungsarbeiten ein defensiver Zweck, doch sollten „die möglichen Risiken der gentechnischen Kombination zweier hochpathogener Erreger noch einmal kritisch untersucht" werden.
Rund drei Millionen Mark gibt die Bundeswehr in diesem Jahr nach Auskunft des Bundesverteidigungsministeriums für Gen-Forschung aus. Vorwürfe, einzelne Projekte seien angesichts ihrer Gefährlichkeit nicht richtig eingestuft, seien dem Ministerium nicht bekannt.


 

Copyright © tageszeitung Berlin, 20.9.2000, Seite 22

Zensur oder Missverständnis?

Eine psychiatriekritische Ausstellung musste im Fröbel-Pestalozzi-Haus nach wenigen Stunden abgebaut werden

"Wir fordern Sie auf, die Bildtafeln sofort abzuholen. Sollten Sie dem zuwiderhandeln, sehen wir uns gezwungen, die Polizei zu verständigen." Ein Fax mit dieser eindeutigen Aufforderung erhielt gestern Nachmittag der Landesverband Psychiatrieerfahrener Berlin-Brandenburg von der Leitung des Pestalozzi-Fröbel-Hauses.

Doch es war nicht etwa Altmüll, den der Verband im pädagogischen Zentrum in Schöneberg hinterlassen hatte. Vielmehr handelte es sich um eine psychiatriekritische Wanderausstellung, die unter dem Titel "The Missing Link - Karl Bonhoeffer und der Weg in den medizinischen Genozid" zuvor schon im Gebäude der Ärztekammer und im Fernsehturm am Alexanderplatz gezeigt wurde - ohne irgendwelche Beanstandungen.

Ursprünglich standen im Mittelpunkt der Ausstellung zwei Skulpturen, die der renommierte israelische Künstler Igael Tumarkin aus zwei Büsten von Karl Bonhoeffer, dem Gründer der Wittenauer Kliniken, gestaltet hatte, um auf dessen Rolle im Dritten Reich als Euthanasiearzt aufmerksam zu machen. Weil die Skulpturen auf bis heute ungeklärte Weise von Berlin nach Israel geschafft worden waren, wurden sie noch während der Ausstellungseröffnung in der Volksbühne Ende Mai von der Polizei beschlagnahmt (taz berichtete)

In der umgearbeiteten Ausstellung stehen neben Texten über die Hintergründe der Euthanasiemorde Fotos der Skulpturen im Mittelpunkt. Auch die Beschlagnahmeaktion selber wird mit Fotos und Presseartikeln in der Ausstellung dokumentiert, die jetzt im Pestalozzi-Fröbel-Haus für Kontroversen sorgt.

"Das neue Konzept und die genaue Verfahrensweise der Ausstellungspräsentation war mit unserem Haus nicht abgesprochen", erklärte die Direktorin des Pestalozzi-Fröbel-Hauses, Hebenstreit-Müller, gestern gegenüber der taz. Sie sei "völlig überrascht" über die Aufstellung großer Tafeln im Treppenhaus gewesen. Ihr Haus sei aber keineswegs gegen die Ausstellung in ihrer ursprünglichen Konzeption, betonte sie.

René Talbot von Landesverband der Psychiatrieerfahrenen hingegen verweist darauf, dass alles genau mit dem Pestalozzi-Fröbel-Haus abgesprochen gewesen sei. Die Termine für die Ausstellung seien auch schon veröffentlicht worden. Den Grund für den erzwungenen Abbruch sieht Talbot im Besuch von Bundessozialministerin Christine Bergmann am Montag im pädagogischen Zentrum: "Wenn die Frau Ministerin Bergmann kommt, muss schnell noch eine Verbeugung vor der Staatsgewalt gemacht werden", heißt es in einer vor dem Pestalozzi-Fröbel-Haus verteilten Erklärung.

Die Ausstellung "The Missing Link" soll noch bis März nächsten Jahres unter anderem vor dem Ufa-Filmpalast, den Rathäusern Tempelhof und Mitte, im Constanze-Pressehaus sowie dem jüdischen Krankenhaus gezeigt werden.

PETER NOWAK

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